Lesetipp: Pausen erhöhen die Lebensqualität

Gerade jetzt in einer Zeit, in der viele Einrichtungen und Geschäfte geschlossen sind, Ausgangs- und Kontaktsperren unseren Alltag bestimmen, sind viele von uns zur Kinderbetreuung, im Home Office oder gar in Quarantäne zu Hause. Doch verloren ist diese Zeit keineswegs, denn Nichtstun ist eine Voraussetzung, dem Corona-Virus zu trotzen. Über die positive Bedeutung des Wartens, des Pausierens und Nichtstuns hat Karlheinz A. Geißler vor acht Jahren ein leider viel zu wenig beachtetes Buch vorgelegt. Weil es an Aktualität aber nichts eingebüßt hat, möchte ich meine in die Jahre gekommene Buchbesprechung nochmals hervorkramen und hoffe, sie ermuntert zur Lektüre.

Alle Jahre wieder: Weihnachten steht vor der Tür. Das Leben in der Stadt ist hektischer denn je. Stau auf den Straßen und an den Kassen. Karlheinz A. Geißlers neues Buch schien mir in der Vorweihnachtszeit 2012 die passende Lektüre in dieser scheinbar davoneilenden Zeit zu sein. “Lob der Pause. Von der Vielfalt der Zeiten und der Poesie des Augenblicks”, erschienen im oekom Verlag, blieb allerdings unangerührt auf meinem Nachschränkchen liegen. In einer Zeit, in der Familie, Freunde und Arbeitswelt besonders große Ansprüche auf die eigene Zeit erheben, muss man sich eben selbst hinten anstellen.

Der Verfasser des Buches würde jetzt vermutlich mit dem Kopf schütteln, denn das Schöne an der Zeit sei, „dass sie immer zu vielen auftaucht. Sie existiert nur im Plural.“ Die Zeitvielfalt müsse aber entdeckt werden.

Warten ist verlorene Zeit. Umwege kosten Zeit. Pausen verschwenden Zeit. Zeit ist immer knapp bemessen. Regelmäßig bedauern wir, zu wenig oder gar keine Zeit zu haben. Wir versuchen, der Zeit Herr zu werden, indem wir möglichst viel von ihr einsparen. Aber Geißler stellt fest: “So unmöglich es ist, den Wind zu fangen, so ausgeschlossen ist es, die Zeit in den Griff zu bekommen. Denn nicht der Mensch beherrscht, es ist die Zeit, die über den Menschen herrscht.“ Unter allen Lebewesen sei der Mensch das einzige, das Zeit sparen will. Aber je mehr Zeit eingespart werde, umso größer sei die Klage, unter Zeitdruck zu stehen. „Zeitsparer nämlich organisieren die Zeit, sie leben sie nicht, weil sie nicht erleben.“

Um Zeit zu sparen, versuchen wir, schnell zu sein. Der Zeitgeist, so der Autor, der seit über 25 Jahren ohne Uhr lebt, belohne alles Schnelle und Mobile. Doch, “die immer nur schnell sind, verpassen viel, laufen an Wichtigem vorbei und gefährden darüber hinaus Leib und Leben.“ Die Schnellen seien nicht schneller am Ziel, sondern rascher am Ende.

Geißler verurteilt Schnelligkeit nicht generell. Es sei wichtig, schnell sein zu können, aber eben nicht notwendig, immer und überall schnell zu sein. Stattdessen sollten wir auf überflüssiges Tempo verzichten und allem eine angemessene Geschwindigkeit geben.

Eine besondere Bedeutung misst Geißler Pausen bei. Pausen “sind wirkungsvolle und sinnvolle Leerstellen […]. Sie dienen dem Nach- und dem Vorausdenken, regen zum Fantasieren und Träumen an, erlauben das Abschalten und Verarbeiten in einem. […] Pausen sind Zwischenzeiten, die Gelegenheit bieten, zu sich zu kommen […] und bieten die Gelegenheit, durch einen sanften Sturz aus dem Gewohnten gestärkt wieder auf die Beine zu kommen, um schließlich mit mehr Kraft und neuen Ideen fortzufahren.” Nicht das Warten sei die Hölle, sondern ein Leben, das kein Warten mehr kennt. “Denn nur diejenigen, die warten können, können auch etwas erwarten.”

Karlheinz A. Geißler gelingt mit seinem Buch eine kritische und durchaus allgemeingültige Analyse unseres Verständnisses von Zeit und unseres Umgangs mit ihr. Wer sich auf das Buch einlässt, wird zwangsläufig über den eigenen Umgang mit Zeit nachdenken. Doch was nützt alle Theorie, wenn sie nicht in die Tat umgesetzt wird? Aktives Tun und absichtliches Nichtstun, die Rekultivierung vom Schlendern, Bummeln und Trödeln, können dem Leben eine neue Qualität verleihen. Nehmen wir uns ein Beispiel an unseren Kindern, die dem Blick auf die Uhr keinen Wert beimessen. Wir holen sie aus den Kindergärten ab und drängen auf das Nachhausegehen, um dort unsere “unaufschiebbaren”, von uns als wichtig erachteten Tagesordnungspunkte abzuarbeiten. Schauen wir ihnen doch einfach zu, wenn Sie sich im Herbstlaub wälzen. Machen wir mit, wenn sie minutenlang eine Schnecke bestaunen. Lassen wir Zeit einfach mal Zeit sein. Wir haben doch eigentlich genug davon.

erschienen im NOTausgang, Ausgabe 2/2013

Karlheinz A. Geißler: Lob der Pause. Von der Vielfalt der Zeiten und der Poesie des Augenblicks; München:  oekom verl., 2012. ISBN 978-3-86581-320-6

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert